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Dienstag, 5. Dezember 2006

Eine Frage der Freiheit

Eine Panikschrift über die Fesseln des bürgerlichen Lebens

In Kürze ist das Jahr vorbei, die weihnachtlichen Erinnerungen schon wieder halb verblasst, der Restalkohol von Sylvester ausgenüchtert. Dann ist Januar.

Der Januar wird mein letzter richtiger Monat als Student sein. So mit richtigem Studentenleben, zur Uni fahren, Kurse besuchen und so weiter. Dann folgt zwar noch das Diplom und wirklich exmatrikuliert bin ich erst im September. Aber trotzdem: Nach Weihnachten kommt nur noch ein Monat.

Ich beginne jetzt schon manche Menschen zu vermissen. Ich sehe mich alleine in einer kleinen Wohnung in Hamburg oder München sitzen. Gestopft in ein Gefäß, das sich Berufsalltag nennt.

Eigentlich ist die Vorstellung nichts schlecht. Natürlich möchte ich mal namhafter Online-Feuilletonist werden oder das, als was ich das definiere. Schließlich werde ich mein Diplom über die Zukunft des Feuilletons schreiben und der Frage nachgehen, wie das Feuilleton wieder die jungen Menschen erreichen und sich ihrer Debatten annehmen kann. Ich bin auch kein wilder Abenteurer, der mal in Afrika eine Farm aufbauen möchte, oder jemand, der ruhelos durch die Welt zu treiben gedenkt. Nein. Natürlich ist es mit wichtig, irgendwann meinen tollen Job, ein Haus, Frau und Kinder zu haben. Aber auch wenn ich manchmal weit voraus denke. So weit bin ich noch nicht.

Wie gesagt: Ich sehe mich allein in einer kleinen Wohnung. Meine Freunde alle weg. Ein netter kleiner Job, ein paar nette Kollegen. Ein Tag beginnt und zehn Jahre enden. Wo werden die Möglichkeiten sein? Wo wird das Neue sein? Wo wird das Unvorhersehbare sein?

Ich sehe mich in einem Jahr genau wie jetzt Damien Rice hören und ein Glas Wein trinken. Dabei werde ich auf ein Blatt Papier starren. Es hat fast kein Ende. Lauter Tage stehen drauf. Daten und was ich dort gemacht haben werde. Jede Woche ähnelt sich. 2008. 2009. 2010. 2015. 2020. Die banalste und unergründlichste Frage der Welt wird mir jeden Tag im Kopf dröhnen: Wofür leben? Oder anders: wofür sterben? Schließlich stirbt jeder Mensch an seinem Leben und an nichts anderem. Und wie dieser Tod sein wird, liegt bei jedem selbst.

Schon jetzt bin ich in die Zwänge des Geldes geraten. Eine eigene Wohnung, ein großes Auto und ein Klavier kosten ziemlich viel Geld. Es ist die Sklaverei der Annehmlichkeiten. Und leider liegt es in der Natur der Sache, dass man nie einen Schritt zurück machen möchte. Werden mich also meine Ansprüche an den Alltag versklaven und an diesen ketten?

Ich habe das Glück, Eltern zu haben, die mich immer großzügig unterstützt zu haben. Vielleicht hat es mir auch die Angst in Herz gepflanzt, keine geordneten Verhältnisse zu haben, nicht alles im Griff zu haben.

Mittlerweile scheine ich meinen Eltern zumindest ein wenig nahe gelegt zu haben, dass ich nach dem Studium noch zumindest zwei, drei Monate ins Ausland muss, um mein Englisch aufzubessern. Dahinter steckt natürlich auch, noch einmal alles hinter sich zu lassen, etwas völlig neues zu erleben. Doch auch da schwebt schon wieder das monetäre Damoklesschwert über mir. Geld, Job, strukturierter Lebenslauf. Die bürgerliche Vita ist eine Nanny mit eisenhartem Griff.

Und wir wäre es, alles über Bord zu werfen?

Wohnung aufgeben ohne Pläne zu haben. Keinen Berufsstart vorbereitet zu haben. Das Klavier wieder zum Händler bringen. Das Auto stilllegen. Ein Flugticket kaufen und verschwinden. Einfach so. Bestenfalls mit zwei- bis dreitausend Euro in der Tasche, eher viel weniger. Kein Auslandspraktika, das auf einen wartet, kein fester Job, keine Uni, kein Ziel.

Die ganze Welt stünde mir offen. Oh, ich höre die laute Stimme meines Vaters, wie wahnsinnig man sein könne. Man müsse eine detaillierte Reiseplanung haben, die Kosten durchgerechnet, die Hotels und Unterkünfte gebucht. Doch wie frei ist man, wenn man auf einem Schlitten sitzend durch die Welt gezogen wird?


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