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Über die Berufung

Es gibt nichts Abstoßenderes in einer Zeitung als Stellenanzeigen. Diese polierten Wichtigtuereien mit nach Karriere und Management klingenden Anglizismen. Sie vermitteln den Eindruck: Wir, die Firmen, die wir uns hier dir gnädigerweise präsentieren, wir, denen du dich unterordnen musst, wir sind wichtig, wir sind deine berufliche Zukunft. Ohne uns bist du Hartz IV oder irgend ein Spinner. Also komm und sieh zu, dass du halbwegs das darstellst, was wir wollen.

Ich sage nein, zu Berufen in Wirtschaft, Marketing und Consulting und all denen, wo es darum geht, Zahnpastalächeln in Fahrstühlen zu präsentieren. Was sind das für Berufe, in denen es nur um das Geld und die Karriere geht? Wo ist die Seele, wo der Sinn?

Ich verneige mich vor allen Berufen, die man kaum oder nie in Stellenanzeigen findet. Ich verneige mich vor allen Polizisten, Krankenschwestern, Dramaturgen, Schauspielern, Lehrern, Künstlern, Literaten, Schriftstellern, Priestern, Uhrmachern, Buchhändlern, Musikern und all denjenigen, die sich in diese Liste einreihen ließen. Ich verneige mich vor Menschen, die ihrer Berufung folgen und nicht bloß einen Job machen oder gut Geld verdienen wollen. Daher verneige ich mich daher auch vor Unternehmern, die dem, was sie aufgebaut haben, so gut wie alles opfern würden, die alles geben würden, um ihre Idee, ihren Traum zu verwirklichen und die daher auch niemals den Job wie ein Hemd wechseln würden. Vor allem aber verneige ich mich vor den Menschen, deren Berufe man kaum Beruf nennen kann. Den Menschen, die einer Bestimmung folgen, die tief in ihnen selbst groß und stark geworden ist und die den Mut haben, ihren Weg allein zu gehen. Denn Wege, so soll Franz Kafka einmal gesagt haben, entstehen dadurch, dass man sie geht.
kafkaesk - 2007-04-01 11:25

mein bro hat bwl mit schwerpunkt marketing studiert und ich glaub er setzt weder ein zahnpastalächeln in fahrstühlen auf, noch hat er seine seele dem kapitalistenteufel verkauft.
7an - 2007-04-01 13:35

klar. so schwarz-weiß ist die welt dann doch nicht. weiß ich wohl. aber es gibt einfach zu viel marketing, pr, lobbyismus und den ganzen scheiß. ein großer haufen fliegen, die sich um den mist streiten. alleine die tatsache, dass die zahl dieser leute seit jahren steigt, aber zum beispiel die der journalisten nicht, zeigt das problem.
diefrogg - 2007-04-01 13:43

Das hat...

... auch was einschüchterndes, dieses Karrieregetue, diese salbungsvolle Selbstvermarktung der Firmen in ihren Stelleninseraten. Man ermüdet, wenn man dieses Zeug bloss schon liest. Dabei sind das wahrscheinlich bloss Marketing-Konventionen. Viel heisse PR-Luft. Man darf sie nicht zu ernst nehmen, sage ich mir jeweils, bevor ich mir überlege, ob ich auf so ein Inserat nun doch eine Stellenbewerbung schicken soll. Weil ich eben auch eine Berufung habe als Journalistin und aber zur Ausübung dieser Berufung eine Stelle brauche...
7an - 2007-04-01 13:58

wobei man journalismus-stellenazeigen nicht wirklich oft findet. eigentlich nie. ist auch einer der berufe, bei denen man über kontakte, praktika, referenzen etc. reinkommen muss.
gitane - 2007-04-01 15:09

einerseits bejahe ich deinen text, andererseits....
auf der einen Seite kann und will ich dieses kapitalistische jagen nach geld und macht in der karrierelaufbahn nicht für gut heißen. Schließlich gehöre ich zu dem teil menschen, die arbeiten um zu leben - nicht anders herum. auch bewundere ich die menschen, die ihrer inneren stimme gefolgt, ihren traum verwirklicht und gelebt haben und nun geld damit verdienen. denn das müssen wir alle: geld verdienen. zumindest wenn wir uns einen bestimmten lebensstandard leisten wollen. was nützt es da wenn wir buddhistik, philosophie und ethik studiert haben (was momentan einer bekannten durch den kopf geht)? sicher ist es interessant, sanskrit zu lernen, nur sollte man bei solchen wünschen nicht die zukunft aus dem blickwinkel verlieren - so spießig das auch klingen mag
7an - 2007-04-01 22:29

wenn sie das lernen will, dann soll sie das tun und bloß nicht etwas machen, das vermeintlich gute berufsaussichten hat. denn erstens ist das eh immer so eine sache mit den aussichten und zweitens hängts immer von einem selbst ab, was man draus macht. und gerade viele viele unistudiengänge bilden in keinster weise direkt für den beruf aus, doch man erwirbt sich dabei methoden, um dinge anzupacken, soft skills und oft auch generalistentum, das einen befähigt, sich leicht in neue aufgaben herein zu denken und zu arbeiten. man sollte daher immer das wählen, dass einem am meisten spaß macht, und wenn das auch heißen mag, sanskrit zu lernen. geld verdienen müssen wir alle, klar. und letztlich werden wir es auch alle irgendwie schaffen, wenn wir flexibel im geist sind und wollen.
kiumara - 2007-04-01 15:29

Man kann ...

... auch jene Berufe in Wirtschaft, Marketing und Consulting mit Herzblut und Leben füllen. Das, was Du kritisierst hat nichts mit dem Beruf, viel aber mit der inneren Einstellung zu tun. Wieviel Wert wir dem Geld zumessen und wieviel Wert dem, was wir beruflich machen, hat viel gemein, mit der Gesellschaft, in der wir leben. Und wenn in der Gesellschaft nur jener etwas "wert" ist, der jugendliches Zahnpastalächeln und ein großes Auto vorweisen kann, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn das so eine große Rolle spielt.
Ich wünsch Dir einen schönen Tag
Kiumara (mit einem Beruf, der auch Berufung ist, den sie nicht ganz freiwillig gewählt hat, aber dennoch über alles liebt)
7an - 2007-04-01 22:33

ja, du hast recht. letztlich kann man es nicht verallgemeinern. letztlich geht es um meine persönliche haltung. ich weiß, dass ich bestimmt ein wenig übertreibe, aber zum einen lasse ich mich auch immer wieder belehren und zum anderen ist eine starke meinung eine gute sache, da in unserer zeit - vielleicht war es auch schon immer so - zuviel weichgespültes denken herrscht.

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