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Unterwanderter Journalismus

Im aktuellen Newsletter von Netzwerk Recherche, der Lobby für investigativen Journalismus, wird auf zwei Quellen verwiesen, die sich mit der bedenklichen Vermischung von Journalismus und PR befassen.

- Das NDR-Medien-Magazin Zapp berichtete über eine Anzeige der Potsdamer Neuesten Nachrichten, die "einen vielseitig talentierten PR-Journalisten" gesucht haben oder noch suchen. Ein PR-Journalist ist dummerweise ein Paradoxon, sagt aber viel darüber aus, was man in Potsdam von serösem Journalismus hält.

- Die andere Geschichte tauchte unter anderem bei Spreeblick auf. Es geht um einen Redakteur des amerikanischen Technologie-Magazins Wired, der eine Geschichte über Microsoft geschrieben hat. Im Nachhinein tauchte ein Protokoll (pdf) auf, dass zeigt, wie eine PR-Agentur Microsoft half, den Artikel indirekt zu beeinflussen.
Für das Dokument wurde zum Beispiel ein Persönlichkeitsprofil des Journalisten erstellt oder erklärt, wohin dieser gelenkt werden sollte. Dabei tauchen dann Sätze auf wie: "We’re pushing Fred to finish reporting and start writing."
Malte - 2007-04-02 18:29

Vermischung von PR und Journalismus - eines der Lieblingsthemen aller Journalismus- und Medienprofessoren ;-) ich fand es damals immer so schön darüber zu diskutieren. Die Realität sieht aber nunmal anders aus... Beide Parteien brauchen sich, und wo es Abhängigkeiten gibt existieren halt auch Überschneidungen.
7an - 2007-04-02 18:57

es geht nicht, um die notwendige kooperation, sondern um vermischung. es geht darum, dass pr-agenuren methoden benutzen, die schon nach nachrichtendienst klingen und keine transparante kommunikation stattfindet. es geht darum, dass redaktionen pr als journalismus verkaufen und darum, dass journalisten unseriös werden, wenn sie pr und journalismus bei einem thema vermischen. ja ich finde es ist unseriös, wenn ein journalist überhaupt pr macht, weil das zeigt, dass er keine haltung hat. und wenn er dringend geld braucht, soll er doch bitte alles nebenher machen, aber keine pr.

ps: damals? hast du mal journalismus studiert?
Malte - 2007-04-02 19:02

3 Semester Journalismus und Medienwissenschaften.

Ich hab sehr viel von Medientheorien gehört, von den Rechten und Pflichten der Medien und so weiter... und letztlich sind doch alle Journalisten dem Markt unterworfen. Gerade im Journalismus ist der Kampf um Schlagzeilen und die Gier nach hoher Auflage so extrem wie in keiner anderen Industrie.

Chefredakteure und Herausgeber sind auch nur Menschen und keine objektiven Maschinen - und das ist auch gut so. Ich hab relativ schnell entschieden dass es den objektiven, unabhängigen Journalismus nicht gibt. Spätestens wenn es um die Vergabe der Inserate geht. Viele Journalisten und Journalismus-Studenten würden ALLES für ne gute Story tun. Und da ist ein bisschen PR grad noch das Harmloseste ;-)
7an - 2007-04-02 22:42

ich widerspreche entschieden. es gibt all das, was du schreibst, ja. und es gibt davon zuviel, das stimmt. aber es stimmt nicht, dass der hase für alle so läuft. es gibt ehrenhaften, seriösen, unabhängigen und hochanspruchsvollen journalismus, der so objektiv ist, wie es die menschliche natur zulässt. es gibt ihn in der süddeutschen zeitung, in der zeit, in der faz und fas, in der taz, in der ny times in der londoner times und in vielen anderen hochwertigen blättern.

das sind natürlich wenige im verhältnis und gerade im lokalen ist der markt sehr hart und da sieht es ganz anders aus. man beachte nur mal die letzten geschehnisse um den münsteraner verleger lensing-wolff. wir müssen über die ganzen mängel in der presse abseits der großen namen nicht reden. sie sind da. doch sie sind nicht exemplarisch für den journalismus als solchen. journalismus kann einer der ehrenhaftesten berufe sein. es hängt von jedem journalisten selbst ab, wie weit er für seine ideale und seinen anspruch geht.

ich zum beispiel habe meinen letzten werkstudentenjob bei t-online auch gekündigt und wieder einen tankstellenjob angenommen, weil ich mich journalistisch nicht so wohl gefühlt habe. im leben-ressort wird zwar halbwegs solide gearbeitet - von den bezahlten specials und dergleichen einmal abgesehen -, aber ich möchte einfach, wenn ich eine geschichte schreibe, eine schreiben, auf die ich stolz sein kann und die wirklich etwas darstellt. was glaubst du, warum im boulevard (gerade online) keine namen der redakteure stehen? weil die leute selbst wissen, dass sie trash produzieren.

das wichtigste im journalismus ist die kritische haltung. sie ist selbst wichtiger als besonderes handwerkliches können. viele haben diese haltung nicht und das ist ein problem. doch es gibt viele mit haltung, allen voran bei den großen namen wie oben genannt. und jeder, der auch diese über einen kamm scheren möchte mit den ganzen unsauber arbeitenden redaktionen, hat irgend etwas nicht verstanden. was genau bei diesen menschen schief gelaufen ist, weiß ich auch nicht. vielleicht sind es leser, die dann doch den boulevard gelegentlich konsumieren. ich kann nur raten. ulrich greiner, zeit literatur-chef, hat neulich in einem sehr guten leitartikel über günter grass und die medien geschrieben: "Je innovativer, je fantasievoller die Medien sich bei dem Versuch verhalten, die Grenzen ihres ursprünglichen Auftrags auszuweiten, je bedenkenloser sie die Aufmerksamkeit des Publikums durch Scheinsensationen und Selbstinszenierungen fesseln wollen, umso mehr droht ihnen die stille Verachtung der Umworbenen."
vielleicht ist es mit diesen lesern genau so wie mit journalisten, die trash produzieren: sie wissen, was sie machen und verachten es ein wenig, aber insgeheim haben sie doch auch spaß daran. sehr ambivalent.

thema anzeigen: die süddeutsche hat vor wenigen jahren kritisch über aldi berichtet und verfolgte das thema weiter, obwohl aldi daraufhin sämtliche anzeigen in der sz strich - in einem gesamtwert von 1,5 millionen euro. zu dem zeitpunkt litt die sz übrigens eh schon unter dem schlechten anzeigengeschäft. auch von der zeit kann ich etwas erzählen. der mittlerweile verstorbene verlager gerd bucerius hat damals einmal einem der anzeigenkunden sinngemäß erklärt: "oh, es tut mir leid. ich dachte sie wüssten, dass redaktion und anzeigenabteilung bei uns streng getrennt sind. aber damit es in zukunft keine probleme mehr gibt, werde ich der anzeigenabteilung sagen, dass sie keine weiteren aufträge mehr von ihnen entgegen nehmen soll." ich habe zwar auch irgendwann mal behört das bucerius nicht immer so konsequent war, doch die zeit ist das letzte blatt, dem man mangelnde haltung vorwerfen kann.

thema story: ich würde nicht alles für eine story tun. ganz ehrlich. scheiß auf jede story. scheiß auf jede titelstory. scheiß aufs geld. scheiß auf die verleger und chefredakteure die geschichten verlangen, die nicht okay sind. ich bin immer schon gerne auf konfrontation gegangen. notfalls gegen die eigenen leute wenn etwas faul ist. es gibt IMMER eine alternative. alles andere ist feigheit und zeugt von mangelndem rückgrat. es gibt keinen grund, etwas journalisch zu tun, mit dem man sich nicht vereinbaren kann. die konsequenzen muss man dann aber tragen - und eventuell auch die eigenen familie, wenn man eine ernähren muss. unsere haltung und unsere ehre zeigen sich immer erst in den härtesten krisen. unsere aufrichtigkeit kann ein orden sein - mehr wert als jeden, den es gibt. doch er ist unsichtbar.
Malte - 2007-04-02 23:14

ich bin beeindruckt von der Überzeugung und dem Idealismus den man in deinem Text findet. Ich hab schon mit einigen Leuten über diese Themen geredet, und nur ganz wenige haben mich so überzeugt wie du ;-) Deshalb werde ich versuchen - sofern das möglich ist - deine Karriere zu verfolgen. Es ist immer interessant zu sehen, was aus den Prinzipien und Ideen von Leuten geworden ist.

Ich hoffe dass du dich mit deiner Einstellung durchsetzt!

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